Eis oder Kein eis nach verletzung oder hoher belastung?

Kryotherapie – oder einfach gesagt, die Verwendung von Kälte in der Behandlung von akuten Verletzungen – ist ein hochaktuelles, wenn auch manchmal umstrittenes Thema in der Sportmedizin. Der Ansatz, wie wir Verletzungen angehen, entwickelt sich kontinuierlich weiter, und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse lassen uns unsere Methoden immer wieder hinterfragen. So ist es kaum verwunderlich, dass Diskussionen darüber entbrennen, ob die Anwendung von Eis nun tatsächlich förderlich, schädlich oder möglicherweise sogar irrelevant ist.

Instinktiv greifen wir nach einem Sturz oder Umknicken zu einem Eisbeutel. Auch im Profisport ist es nicht ungewöhnlich, dass Athleten unmittelbar nach einer Verletzung eisgekühlt werden. Die traditionelle RICE-Methode – Ruhe, Eis, Kompression und Hochlagerung – wurde 1978 von Dr. Gabe Mirkin eingeführt und hat sich seither fest etabliert. Später wurde dieses Konzept um den Aspekt des Schutzes (PRICE) erweitert und noch später durch POLICE ersetzt, was neben Schutz und optimaler Belastung auch Eis, Kompression und Hochlagerung mit einschließt. Die Anpassung spiegelt die Einsicht wider, dass eine gewisse Belastung die Zellregeneration fördert und vollständige Ruhe eher kontraproduktiv für die Heilung sein kann.

Doch bleibt die Frage: Wie sinnvoll ist Eis wirklich? Es herrscht Einigkeit darüber, dass es als Schmerzmittel nützlich ist, da es die Hauttemperatur senkt, ohne jedoch die Temperatur tiefer liegender Muskelgewebe zu beeinflussen. Die Wirkung von Eis auf die Heilung ist heute jedoch weniger eindeutig als noch vor Jahrzehnten. Viele Menschen berichten, dass Eis das Schmerzempfinden kurzfristig lindert, die Langzeitwirkung auf die Heilung ist jedoch unklar.

2014 änderte Dr. Mirkin seine Sichtweise und schloss sich der wissenschaftlichen Meinung an, dass Eis – ebenso wie komplette Ruhe – den Heilungsprozess möglicherweise eher verzögert. Dies basiert auf der Erkenntnis, dass Entzündungsprozesse notwendige Schritte der Heilung einleiten und dass Eis diese natürlichen Prozesse stören könnte.

Das neueste Modell, PEACE & LOVE, verzichtet auf Eis und betont Schutz, Hochlagerung, den Verzicht auf entzündungshemmende Medikamente, Kompression, Aufklärung sowie optimale Belastung, Optimismus, Durchblutungsförderung und Bewegung. Es stellt sich die Frage, ob wir Eis bei der Heilung einsetzen sollten, wenn es die Genesung möglicherweise verlangsamt, obwohl es vorübergehend den Schmerz lindert. Die Antwort neigt dazu, nein zu sein!

Besonders im Hinblick auf Pferde sollte der Nutzen einer solchen Behandlung kritisch hinterfragt werden. Aufgrund der anatomischen Gegebenheiten des Pferdebeines, das sich im unteren Bereich hauptsächlich aus Knochen, Sehnen und Bändern zusammensetzt und keine Muskulatur aufweist, kann die Eisanwendung nicht nur ineffektiv, sondern auch schmerzhaft sein.

Hinzu kommt die Frage nach der Angemessenheit und Dauer der Kältetherapie. Studien zeigen, dass Lymphgefäße bei Temperaturen um 6°C zu verschließen beginnen, was einen adäquaten Abtransport von Stoffwechselabfallprodukten hemmt. Dieser Prozess ist jedoch besonders nach intensiver Belastung oder einer Verletzung essenziell, da der Körper frisches Blut und Zellen benötigt, um das Gewebe zu versorgen und die Regeneration zu fördern.

Angesichts dieser Erkenntnisse muss über alternative Behandlungsmethoden nachgedacht werden. Eine schonende und wirksame Maßnahme ist die Verwendung von fließendem Wasser mit einer Temperatur von mindestens 20°C. Indem man die Regionen der großen Blutgefäße wie Achselhöhle oder Leiste kühlt, kann eine sanftere und gleichzeitig effektive Kühlung des Gewebes erreicht werden. Diese Methode unterstützt die Blutzirkulation und fördert damit sowohl die Nährstoffzufuhr zum betroffenen Bereich als auch den Abtransport von Abfallstoffen, ohne die Lymphgefäße negativ zu beeinflussen.

Anstelle von Eis sollten wir uns darauf konzentrieren, Verletzte so schnell wie möglich wieder in Bewegung zu bringen, sofern dies sicher und machbar ist.

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Osteopathische Betrachtungen im Pferdesport: Auswirkungen und Behandlungsansätze bei Reiter und Pferd