Dehnung vs. Mobilitätstraining: Eine Betrachtung der Wirksamkeit für Gesundheit und Leistung

Der Folgende Beitrag gilt für Menschen und Pferde gleichermaßen.

Im Streben nach einem gesunden und leistungsfähigen Körper stellt sich oft die Frage: Ist Dehnung oder Mobilitätstraining der bessere Weg? Um diese Frage zu beantworten, sollten wir zunächst verstehen, was physiologisch in unserem Körper vor sich geht.

Was passiert beim Dehnen? Dehnen wirkt sich auf das muskulotendinöse System aus, das aus Muskeln und Sehnen besteht. Physiologisch bewirkt Dehnen eine Zunahme der Muskellänge und eine temporäre Erhöhung der Dehnungstoleranz. Im Wesentlichen geht es darum, die Elastizität des Muskels zu verbessern, was zu einer erhöhten Flexibilität führt. Ein längeres Halten einer Dehnposition kann zu einer neurologischen Adaptation führen, bei der die anfängliche Spannung nachlässt und eine größere Bewegungsfreiheit ermöglicht wird. Dies ist besonders nützlich, um die Bewegungsreichweite in verschiedenen Gelenken zu erhöhen und Muskelverkürzungen vorzubeugen.


Beim Dehnen passiert einiges in unserem Körper, sowohl auf physiologischer als auch auf neurologischer Ebene. Hier eine vereinfachte Erläuterung der Vorgänge:

Neurologische Aspekte des Muskeltonus und der Spannung: Der Muskeltonus bezieht sich auf die kontinuierliche und passive partielle Kontraktion der Muskeln oder den Widerstand der Muskeln gegen passive Dehnung. Dies wird im Zentralnervensystem durch eine Reihe von Reflexmechanismen geregelt, die als "tonische Reflexe" bezeichnet werden. Sie sorgen dafür, dass der Muskel in einer ständigen Bereitschaftshaltung bleibt. Diese Reflexe werden durch sensorische Informationen aus den Muskelspindeln und Golgi-Sehnenorganen gesteuert, die auf Dehnung und Spannung reagieren. Die sensorischen Neuronen dieser Organe senden ständig Informationen über den Dehnungszustand des Muskels an das Rückenmark und Gehirn.

Was passiert beim Dehnen? Wenn ein Muskel gedehnt wird, senden die Muskelspindeln, die die Länge des Muskels überwachen, Signale an das Rückenmark, das dann reflektorisch mit einem Impuls antwortet, der den Muskel kontrahieren lässt, um eine Überdehnung zu verhindern - dies wird als myotatischer Reflex bekannt. Bei anhaltender Dehnung passt sich der Muskel jedoch nach einer gewissen Zeit an die neue Länge an, ein Vorgang, der als Stressrelaxation bezeichnet wird. Das Gehirn beginnt dann, weniger kontraktile Antworten zu senden und erhöht die Toleranz des Muskels gegenüber der Dehnung. Dies ermöglicht es dem Muskel, weiter und mit weniger Widerstand gedehnt zu werden.

Physiologische Veränderungen durch Dehnen: Auf der mikroskopischen Ebene kann Dehnen die Viskoelastizität des Muskels beeinflussen. Die Plastizität des Muskels, also seine Fähigkeit, sich anzupassen und eine neue, verlängerte Länge beizubehalten, kann sich ebenfalls verändern. Über die Zeit können wiederholtes Dehnen und erhöhte Dehnungstoleranz zu strukturellen Veränderungen in den Muskelfasern und dem umgebenden Bindegewebe führen, was die Flexibilität verbessert.

Das Dehnen kann auch die Durchblutung verbessern und zur Freisetzung von Endorphinen führen, was zu einem Gefühl der Entspannung beiträgt. Es wird auch angenommen, dass Dehnen die Sekretion von Synovialflüssigkeit erhöhen kann, was zu einer besseren Gelenkschmierung und Bewegungsfreiheit führt.

Was passiert beim Mobilitätstraining? Im Gegensatz zum Dehnen fokussiert sich Mobilitätstraining auf das gesamte Bewegungsspektrum eines Gelenks. Es beinhaltet oft dynamische Bewegungen, die die motorischen Fähigkeiten, wie Koordination und Bewegungsqualität, fördern. Das Training zielt darauf ab, die Bewegungsfähigkeit zu optimieren, was zu besserer Performance und einer geringeren Verletzungsanfälligkeit beitragen kann. Mobilitätstraining stärkt die Muskeln rund um das Gelenk und sorgt für eine verbesserte neuromuskuläre Kontrolle.

Dehnen oder Mobilitätstraining: Was ist besser? Die Antwort liegt im jeweiligen Ziel. Dehnen kann bei Steifheit und zur Förderung der Entspannung hilfreich sein. In der Sportmedizin wird es oft genutzt, um die Beweglichkeit vor dem Training zu verbessern. Allerdings kann übermäßiges Dehnen unmittelbar vor einer Leistung die Explosivität und Kraftentwicklung mindern, da es die Muskelspannung temporär reduziert.

Mobilitätstraining hingegen ist umfassender und geht über reine Flexibilität hinaus. Es verbessert die Bewegungsqualität in verschiedenen Ebenen, was es zu einem wichtigen Bestandteil des Trainings für Athleten macht. Es kann die Leistung steigern, ohne dabei die Kraftentwicklung zu beeinträchtigen.

Was sagt die Literatur? Studien zeigen, dass regelmäßiges Dehnen die Flexibilität erhöht, aber nicht notwendigerweise die Verletzungsprävention oder Leistungssteigerung unterstützt. Mobilitätstraining hingegen kann funktionelle Bewegungen verbessern und ist daher im sportlichen Kontext oft die bevorzugte Wahl. Es fördert die Gelenkgesundheit und unterstützt eine nachhaltige Leistungsfähigkeit.

Aber Achtung:

Wenn ein Muskel bereits überdehnt ist, zum Beispiel aufgrund einer Fehlstellung des Gelenks, kann dies zu einer Zustand führen, der als passiv insuffizient bekannt ist. Hier ist der Muskel so lang gestreckt, dass er nicht effektiv kontrahieren kann. Er fühlt sich straff an, weil er bereits maximal verlängert ist und zusätzlich versucht, gegen die übermäßige Länge anzukämpfen, um das Gelenk zu stabilisieren. Dehnübungen würden in einem solchen Szenario kontraproduktiv sein, da sie den Muskel noch weiter verlängern und die Gelenkstellung, -instabilität und Schwäche verschlimmern könnten.

In solchen Fällen ist es eher angebracht, das Augenmerk auf das Gelenk und seine Stellung zu legen. Hier sollten zusätzlich Kräftigungsübungen gemacht werden, um durch den Zug der Muskeln, das Gelenk in die richtige Position zu bringen.

Zudem ist es wichtig zu beachten, dass einige Muskeln Nerven und Gefäße beherbergen bzw. diese hindurch treten. Eine chronische Dehnung oder Kompression dieser Strukturen kann zu einem sogenannten "Entrapment" führen. Das bedeutet, dass die Nerven oder Gefäße eingeengt werden, was zu Schmerzen, Taubheitsgefühlen oder Durchblutungsstörungen führen kann. Hier wäre das zusätzliche passive Dehnen nicht zu empfehlen und führt gegebenenfalls zur Verschlechterung der Symptome. In solchen Fällen ist eine sorgfältige Bewertung und ein individuell angepasstes Übungsregime erforderlich, das oft von einem Physiotherapeuten oder einem ähnlich qualifizierten Fachmann erstellt wird.

Fazit Für den Alltag kann Dehnen entspannend und bewegungsfördernd sein, sollte jedoch im besten Falle erst nach der Verbesserung der Mobilität gezielt angewandt werden. Im sportlichen Bereich oder für die Verbesserung der funktionellen Kapazität ist das Mobilitätstraining der Schlüssel. Eine Kombination aus beiden Ansätzen kann die optimalen Ergebnisse liefern: Dehnen für die Flexibilität und Mobilitätstraining für die funktionelle Leistungsfähigkeit.

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